HANDLUNG
[kʌu̯ ɪn junifɔɹm] ist ein multidisziplinäres Opernprojekt. Musik, Theater, Modedesign und bildende Kunst kommen zusammen um eine neue Welt zu kreieren. In dieser Welt leben Menschen, die uns an uns selbst erinnern, deren Sprache und Handlungen wir jedoch nicht verstehen. Damit müssen wir uns von Beginn an abfinden, dass wir nicht "verstehen" können und stattdessen "erleben" müssen. Zu Anfang dringen aus dem Dunkel lediglich elektronische Klänge zu uns, die den Eintritt in die unbekannte Welt ankündigen. Wir erleben wie die drei Figuren – unterschiedlich in ihrem Charakter und damit in Auftreten und Ausdruck, aber gleich in ihrer Position in dieser Welt – ihr Haus in Brand stecken, was aber nicht weiter beachtenswert scheint. In dieser Umgebung aus lodernden Flammen werden sie nacheinander mit ihrem jeweiligen fatalen Schicksal konfrontiert – übermittelt durch eine andersartige, emotionslose Gestalt – und versuchen jeder für sich diesem zu entkommen. Figur 1 scheint unter den Konsequenzen des Feuers zu leiden und versucht, diesen entgegen zu wirken. Figur 2 wird mit einem Dilemma konfrontiert, aus dem sie keinen Ausweg weiß. Einzig Figur 3 scheint sich ihres Schicksals sowie ihres Versuchs, diesem entgegen zu wirken, von Anfang an bewusst zu sein. Und so werden wir mit einem Mal fortgerissen aus dieser Umgebung und finden uns in einer diffusen Halbwelt wieder, in der uns eine fremde Gestalt – in uns verständlichen Worten! – mitteilt, dass sie die Menschen und ihre Bestrebungen nicht verstehen kann. Daraufhin nimmt sie Platz und wir sind mitten in einem Gesangswettbewerb, in dem Figur 3 eine eigenartige Puccini-Arie vorträgt. Sie scheint erfolgreich und wird bejubelt und sogleich befinden wir uns wieder im Haus der drei Figuren, wo die anderen zwei noch mit ihrem Schicksal hadern. Zunächst findet Figur 2 einen radikalen Ausweg aus ihrem Dilemma. Dann wird Figur 1 von der emotionslosen Gestalt vom Anfang, die als ein Gehilfe des Schicksals erscheint, darauf hingewiesen, dass sie durch ihre übertriebenen Bemühungen, ihr Schicksal abzuwenden, dieses eher noch beschleunigt hat. Alle entschwinden gemeinsam und zuletzt fällt das Haus den Flammen zum Opfer nachdem es überraschenderweise doch länger überdauerte als seine Bewohner. Doch nun ist die letzte statische Gegenwehr zwecklos und so zwangsläufig wie vermeintlich alle anderen Geschehen stürzt es in sich zusammen. In den schwelenden Resten und der Glut des ersterbenden Feuers erscheint, allein zurückgeblieben, Figur 3. Sie blickt sich verstört um, setzt kurz zum Sprechen an, bringt aber keinen Ton hervor. Nur eine verlorene Flöte erinnert mit Fetzen aus ihrer Arie noch an ihre verblasste Lebendigkeit.
MUSIK
Die Musik strukturiert und symbolisiert viele Bezüge in dieser Oper. Die rein elektronischen Klänge im Vorspiel und die elektronisch-akustischen am Schluss verdeutlichen den Ein- und Austritt in diese Welt. Zugleich sind die Prozesse, die die einzelnen Klänge im Vorspiel durchlaufen eine Parabel für die Schicksale der drei Figuren. Die gesamte Entwicklung der Musik ist an die eines Feuers angelehnt, indem sie zuerst aus kleinen losen Motiven langsam zusammenwächst, zum Schluss in einer Feuersbrunst auflodert und schließlich leise verglüht. Jede der drei Figuren hat ihre eigenen musikalischen Prozesse und damit verbundenen Instrumente, welche einerseits ihren Charakter und andererseits das ihr drohende Schicksal symbolisieren. Immer wieder kommentiert die Musik das Geschehen, indem sie beispielsweise die Situation einer Figur, deren Verzweiflung von den anderen nicht verstanden wird, durch ein einzelnes Instrument abbildet. Oder indem sie das ausweglose Dilemma einer anderen Figur mit einem sarkastischen Verweis auf den Bob Dylan-Song "Don't think twice, it's alright" ("Mach' dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung") kommentiert. In der Welt dieser Geschehnisse steht Gesang für das Leben und so wird deutlich, dass die beiden sprechenden Gestalten keine lebendigen menschlichen Wesen sind. Die drei Figuren machen in ihren letzten Augenblicken jeweils eine Entwicklung von Gesang über Sprechgesang zu Sprechen durch, welche das Entschwinden des Lebens symbolisiert.
IDEE
Die Welt dieser Handlung ist eine Welt voller Determination. Sie mag in vielem absurd wirken, nährt sich jedoch in gleichen Teilen aus Realität und Fiktion und stellt ein komplexes zusammenhängendes Gesamtgebilde dar. Dieses Gebilde ist eine vieldimensionale Welt und bedarf für eine angemessene Darstellung multidisziplinärer Mittel, welche hier gleichberechtigt nebeneinander stehen und ineinander wirken. So ist zum Beispiel das ad libitum-Spiel der Musiker ein Element nötigen Freiraums für die Interaktion mit Elementen anderer Disziplinen. Die Figuren in dieser Welt werden mit Umständen konfrontiert, deren Zwangsläufigkeit sie nicht im Geringsten hinterfragen, was paradoxerweise ihre daraus gezogenen Konsequenzen innerhalb ihres surrealen Umfeldes logisch macht. Jedes individuelle Schicksal steht hier nur für eine Facette des kollektiven Schicksals in einem selbst kreierten lebensfeindlichen Lebensraum. Die Auswege, die die Figuren jeweils aus ihrem persönlichen Dilemma suchen, stellen, unabhängig davon ob ihre Versuche erfolgreich sind oder nicht, keine Erlösung dar. Die Tatsache, dass wir die Sprache der Figuren nicht verstehen, stellt im Erleben ihres Schicksals keine Einschränkung dar, sondern unterstreicht den Faktor, dass wir ihre Handlungen für irrational halten. Dadurch, dass wir uns auf eine andere Ebene des Verstehens einlassen müssen, sind wir – über die reichen akustischen und visuellen Darstellungen der verschiedenen mitwirkenden Disziplinen, deren Ineinandergreifen für das Erleben dieser fremden Welt essentiell ist – in der Lage, ohne den Abstand des Rationalen die Situation der Figuren mitzuerleben und sie durch diese Erfahrungen – ähnlich paradox wie die Situation der Figuren selbst – besser zu verstehen.